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► Die spektakulärste Straße der Insel

VON JONAS MARTINY

Vor genau 60 Jahren wurde die Ma-10 von Andratx nach Pollença fertiggestellt

111 Kilometer

führt die Ma-10 einmal quer durch die Tramuntana. Mallorcas längste Landstraße ist aber nicht nur eine Urlauberattraktion, sondern für die Bewohner vieler Bergdörfer auch die einzige Verbindung zur Außenwelt. Vor genau 60 Jahren wurde das letzte Teilstück der Route für den Verkehr freigegeben

Dass Mallorcas Tageszeitungen über den Besuch des spanischen Bauministers äußerst wohlwollend berichteten, dürfte auch an der damals noch strengen Pressezensur gelegen haben. Mit dem Regime von Diktator Franco wollte es sich niemand verscherzen. Also bejubelten die Zeitungen den Auftritt des Ministers auf der Insel in den höchsten Tönen. Ganz falsch aber lagen sie damit nicht, denn der Anlass war tatsächlich ein besonderer. Einer der wichtigsten Programmpunkte des ministeriellen Inselbesuches war die Einweihung des letzten noch fehlenden Teilstücks der Ma-10, das von Sóller bis hinauf nach Escorca führt, inklusive Segnung durch den Bischof und Ave María in der Kirche von Lluc. „Mit dieser herrlichen Straße ist nun Mallorcas spektakulärste Touristenroute eröffnet“, titelte die Tageszeitung „Ultima Hora“. An jenem 23. Juli 1961 war es so weit: Seitdem ist es möglich, mit dem Auto das gesamte Tramuntana-Gebirge von Andratx bis nach Pollença zu durchqueren – genau 111 Kilometer

auf Mallorcas bis heute längster Landstraße.

Was damals noch eine kühne Vorhersage war, erwies sich schon bald als vollkommen richtig: Die Bergstraße wurde zu einer der wichtigsten Attraktionen der Insel. Für Abertausende Touristen gehört eine Mietwagentour über die Gebirgsroute zum Mallorca-Urlaub wie Kathedralenbesuch und Altstadtbummel. Schließlich liegen eine ganze Reihe bedeutender Sehenswürdigkeiten an dieser Route durch das Unesco-Welterbe Tramuntana: malerische Bergdörfer, das Heiligtum Lluc, die Serpentinenstraße von Sa Calobra,

das Herrenhaus von Son Marroig, die Halbinsel Sa Foradada, das öffentliche Landgut Planícia, dazu kommt das atemberaubende Küstenpanorama mit steilen Felswänden und mehr als 1000 Meter hohen Bergen auf der einen und dem betörend schönen, azurblauen Meer auf der anderen Seite.

Die Ma-10 aber ist noch viel mehr als das. Denn für Tausende Bewohner in den Bergdörfern ist sie schlicht und einfach auch die einzige Verbindung zum Rest der Welt. Wie sehr etwa das im hintersten Winkel des Gebirges gelegene Estellencs von der Landstraße abhängig ist, zeigt

sich immer dann, wenn sich mal wieder ein Felsblock gelöst hat und auf die Fahrbahn gestürzt ist. Dann ist mitunter tagelang kein Durchkommen mehr und die Bewohner müssen weite Umwege in Kauf nehmen. Auch, als in der Gegend um Andratx im Juli 2013 tagelang ein schwerer Waldbrand wütete, ging auf der Ma-10 gar nichts mehr – und mehrere Ortschaften waren vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten.

Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein existierten in weiten Teilen des Tramuntana-Gebirges lediglich Fuß- und Karrenwege, die nur ein be

schwerliches Fortkommen zuließen. „Viele der Straßen erfüllen noch nicht einmal die Mindestanforderungen, um dort mit Pferdekarren und Kutschen zu verkehren“, beklagte noch 1958 der damalige Chefingenieur für das Öffentliche Bauwesen auf der Insel, Miguel Forteza. Erst zwischen 1880 und 1886 etwa entstand die Landstraße zwischen Sóller und Deià, die gleichzeitig der erste fertiggestellte Abschnitt der schon damals geplanten Verbindung Andratx-Pollença war. „Diese Straße, wenn sie denn irgendwann eröffnet ist, wird es ermöglichen, die vielen Sehenswürdigkeiten der Gebirgsküste der Insel bequem zu betrachten“, schrieb bereits 1891 der Straßenbauingenieur Pere d’Alcàntara.

Erst nach der Wende zum 20. Jahrhundert folgten weitere Teilstrecken der Route, die damals noch C-710 hieß: von Esporles nach Valldemossa, von Valldemossa nach Sóller, von Lluc nach Pollença, von Andratx nach Banyalbufar. Welche Ingenieurleistung dazu notwendig war, lässt sich noch heute an manchen Stellen erahnen. Hunderte Meter lange Tunnel mussten aus dem Fels gesprengt, enorme Stützmauern errichtet, Tausende Höhenmeter überwunden und dazu Hunderte Serpentinen angelegt werden. Allein der Bau des letzten, vor 60 Jahren eingeweihten Teilstücks dauerte drei Jahre und kostete 59 Millionen Pesetas – eine für damalige Verhältnisse enorme Summe. Ein Grund für den Bau des 17 Kilometer langen Teilstücks dürfte auch die Tatsache gewesen sein, dass der Puig Major, der mit 1445 Metern höchste Berg Mallorcas, 1955 zum Militärgebiet erklärt worden war: auf dem Gipfel hatten die US-Streitkräfte eine Radarstation eingerichtet.

Bis heute unterscheidet sich diese Strecke von anderen, älteren Teilstücken: besonders breit ist hier die Fahrbahn, großzügig sind die Kurven angelegt. Kein Wunder, dass dieser Abschnitt der Ma-10 auch bei Motorradfahrern besonders beliebt ist. Vor allem an Wochenenden fahren diese hier röhrend ihre schweren Maschinen spazieren, legen sich halsbrecherisch in die Kurven und scheren sich nicht um das Ruhebedürfnis der Anwohner. Zuletzt aber hat sich einiges getan: Der Inselrat hat die Höchstgeschwindigkeit auf der gesamten Ma-10 auf 60 Stundenkilometer gesenkt, auf dem Abschnitt zwischen Sóller und Escorca gar auf 50. Seit Monaten hagelt es seitdem nur so Strafmandate. In Pollença, dort, wo die Gebirgsstraße allmählich ins Flachland übergeht und teilweise schnurgerade verläuft, lösen gar immer wieder auch Radfahrer die Blitzanlagen aus, wie es heißt. Zuletzt beantragte die Stadtverwaltung, das Tempolimit dort wieder anzuheben. Dass die Ma10 auch solcherlei Probleme mit sich bringen würde, das dürften die Anwesenden bei dem Festakt in jenem Juli 1961 wohl nicht geahnt haben.

59 Millionen Pesetas für 17 Kilometer Straße

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2021-07-22T07:00:00.0000000Z

2021-07-22T07:00:00.0000000Z

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